Ein Planet, viele Welten

Veröffentlicht: Oktober 20, 2016 in Aktuell, Literatur, Nachgedacht

von Sina Feld

28.08.2016 – Ich, Sina Feld, stehe im Lichthof des Auswärtigen Amtes und habe soeben erfahren, dass ich nicht nur meine Geschichte vorlesen darf, sondern auch noch interviewt werde.

Von der Ausschreibung „Ein Planet, viele Welten“ erfuhr ich, als unsere Klassenlehrerin, Frau Knob, uns einen Zettel gab. Dieser „verhängnisvolle“ Zettel informierte über eine Ausschreibung des Auswärtigen Amtes. Man sollte eine Kurzgeschichte über Begegnungen mit anderen Kulturen und Ländern schreiben. Noch am selben Nachmittag setzte ich mich an den Computer und schrieb die Geschichte „Jedem seine Lieblingsmannschaft“, eine Geschichte über einen Türken, der Deutschlandfan ist, und mich.

Ein paar Tage später bekam ich dann eine E-Mail in der ich schon „E-Book Autorin“ genannt wurde. Und noch ein paar Tage später kam die Zusage: ich hatte es nicht nur zur Autorin, sondern auch zu einer Einladung für den 28.8. nach Berlin, ins Auswärtige Amt zur Autorenlesung, gebracht. Also hieß es „ab nach Berlin“ und dort durfte ich, im Lichthof des Auswärtigen Amtes, nachdem ich von der (kölschen) Maus ausgelost wurde, nicht nur meine Geschichte vorlesen, sondern wurde auch gleich noch interviewt.

Das E-Book mit den vielen Kurzgeschichten der Kinder aus Singapur, Südafrika, Deutschland und natürlich auch aus vielen anderen Ländern, steht jetzt kostenlos zum Download auf der Seite des Auswärtigen Amtes.

 

Jedem seine Lieblingsmannschaft

Gestern ist mir etwas Komisches passiert, obwohl… eigentlich ist es nicht besonders komisch, sondern eigentlich ganz normal. Oder besser noch: Es sollte normal sein. Ich ging nämlich zu einem der EM-Spiele, was euch auch noch normal erscheint. Es war das Spiel Deutschland gegen die Türkei. Ja, ich weiß, das ist auch noch ganz normal, aber dieses „Vorgerede“ muss ich machen, sonst versteht ihr ja den Rest nicht. Ich ging also zu meinem Platz, ich glaube, es war in der Südkurve, aber so genau weiß ich es nicht, ich verstehe nämlich eigentlich nichts von Fußball, und auf dem Platz neben meinem saß ein Türke – jedenfalls las er in einer türkischen Zeitung. Das ist immer noch nichts Komisches und ich sollte jetzt auch wirklich anfangen, ich weiß.

Erst mal beachtete ich ihn nicht, er war ja sozusagen mein Fußball-Feind. Doch als er plötzlich anfing, über einen türkischen Nationalspieler zu fluchen, drehte ich mich doch verwundert zu ihm. „Wieso fluchen Sie denn so, er ist doch aus ihrem Land, oder?“, fragte ich, denn ich würde mich nie trauen, über einen deutschen Nationalspieler zu fluchen, und schon gar nicht in einem Stadion in dem Tausende von Fans sitzen. „Da vertrittst du aber eine urzeitliche Ansicht! Nur weil er aus meinem Land kommt, heißt das noch lange nicht, dass ich ihn toll finden muss, oder?“, schoss er zurück. Ich nahm mir keine Zeit zum Überlegen, wollte ich doch meine Ansicht verteidigen: „Aber, Sie müssen doch trotzdem eine gewisse Loyalität für ihr Land empfinden, weil… ich meine…“, und schon hatte ich mich verhaspelt.

Aber wenn ich es mir so überlege, er hatte ja Recht. Doch bevor ich das in Worte fassen konnte ohne mich zu blamieren, schossen die Deutschen ein Tor. Und schon hüpfte ich herum, jubelte und freute mich. Doch als ich sah, dass mein netter Sitznachbar – ich habe später herausgefunden, dass er Metin heißt – ebenfalls aufgesprungen war und jubelte, wunderte ich mich noch mehr als sowieso schon.

Wieso jubeln Sie denn jetzt schon wieder?“, fragte ich.

Na, der Deutsche hat immerhin ein Tor gemacht.“

Aber Sie sind doch für die Türkei, oder?“

Nein, eigentlich nicht, wieso?“

Jetzt kam ich mir noch dümmer vor. Hatte ich doch das schwarz-rot-goldfarbene Fähnchen, das an seinem Sitz befestigt war, übersehen. Er lächelte mich an: „Nun sei doch nicht so bedröppelt, ich habe mal einen Franzosen gekannt, der für Spanien war!“ „Und was ist aus ihm geworden?“ „Ich glaube, er sitzt jetzt als Laborant irgendwo in einem Keller.“ Das brachte uns beide so zum Lachen, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Ihm wohl auch, denn als er endlich wieder Luft holen konnte, fragte er mich, ob er mich zum Essen zu seiner Frau Necla und seiner Tochter Gülay einladen dürfe. Ich willigte ein, und während ich das leckere (griechische) Gyros verspeiste dachte ich, wie komisch die Welt manchmal ist.

Ihr werdet mir hoffentlich zustimmen, dass diese Geschichte wirklich komisch ist, aber wenn sie nicht passiert wäre, würde ich immer noch so „urzeitliche“ Ansichten vertreten.

Übrigens: Metin ist nicht als Laborant in einem Keller gelandet, sondern als reicher Geschäftsmann, Ehemann und Vater hinter einem Schreibtisch im Chefsessel. Ich treffe mich immer noch regelmäßig mit ihm, und inzwischen ist er mehr als nur ein „Philosophenbruder“ für mich, er ist jetzt Freund, Ratschlaggeber, Aus-der-Patsche-Helfer und Fußballkumpel. Und wir suchen uns unsere Fußballmannschaft immer noch frei aus.

 

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